Ein heikles Thema: Was kostet die bargeldlose Gesellschaft in Schweden?

Emilie Rauschütz
N26 Magazine - Deutsche Ausgabe
7 min readOct 11, 2018

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In Schweden stirbt das Bargeld langsam aus. Ein Happy End für digitale Zahlungsmethoden, die nach und nach physisches Geld ersetzen werden. Aber Bargeldbefürworter befürchten, dass genau diese Entwicklung für einige Menschen zum Problem werden könnte.

An einem schwedischen Parkautomaten ist es kein Problem, kein Kleingeld dabei zu haben. Denn es ist gut möglich, dass der Automat überhaupt nur Kartenzahlungen akzeptiert. Bei einer Umfrage der “Sveriges Riksbank” dieses Jahr, gaben nur 61% der Befragten an, dass sie im letzten Monat mit Bargeld bezahlt hatten — 2014 waren es noch 87%.

Quelle: Riksbank

Das zieht sich durch die Gesellschaft, ohne Bankkarte kann es in manchen Situationen schwierig werden. Ob an den öffentlichen Toiletten, die ausschließlich mit kontaktlosen Kartenzahlungsautomaten ausgestattet sind, oder beim Bäcker. Sogar Flohmärkte machen in Schweden diese digitale Revolution mit.

Eine ähnliche Entwicklung ist auch in Deutschland spürbar, obwohl Bargeld hier immer noch einen größeren Stellenwert hat.

Aber warum eigentlich?

Vom Tauschhandel zu Swish: die Entwicklung des Geldes

Es ist schwer, sich eine Welt ohne das System „Geld für Ware“ vorzustellen. Das moderne Währungssystem, wie wir es kennen, entstand aus dem Tauschhandel, bei dem Händler einen bestimmten Wert für ihre Waren (z. B. Vieh und Erzeugnisse) im Tausch gegen die Waren anderer Händler festlegten. Daraus entwickelte sich die Münzprägung und schließlich auch Papiergeld. Erstmals wo aufgetaucht? Richtig, in Schweden. 1946 wurde die erste Form der modernen Kreditkarte entwickelt, unter dem Namen “Charg-it” vom amerikanischen Erfinder John Biggins.

Und jetzt kommt die digitale Welle. Seit 2012 ist in Schweden eine digitale Zahlungsplattform namens Swish beliebt. Rund 6,5 Millionen Nutzer verwenden die App, die es ermöglicht per Smartphone zu bezahlen — das ist mehr als die Hälfte der Bevölkerung!

Der Rückschritt

Die Zahlen deuten zwar darauf hin, dass sich die Mehrheit der Schweden problemlos an alltägliche Transaktionen mittels Karten- und Handyzahlungen anstelle von physischem Geld gewöhnt hat — einige jedoch sind nicht überzeugt.

Eine solche die Änderung ablehnende Gruppe ist die “Pensionärernas Riksorganisation (PRO)” — wörtlich übersetzt „Nationale Rentnerorganisation“ — eine Organisation, die ältere schwedische Bürger vertritt. Unter anderem fürchtet die PRO, dass viele ältere Menschen durch die Digitalisierung ausgeschlossen werden, da sie nicht über die gleiche technische Kompetenz wie die “Generation X” und die “Millennials” verfügen.

Die Umfrage der Riksbank hat ergeben, dass bislang noch die Debitkarte das beliebteste Zahlungsmittel aller Menschen zwischen 18 und 84 Jahren ist, aber es ist könnte nur noch eine Frage der Zeit bis das digitale Zeitalter auch Banking zur Gänze übernimmt.

Angesichts der großen Meinungsverschiedenheiten, stellen wir uns die Frage: Was sind die Argumente für und gegen die Abschaffung des physischen Geldes?

Bargeld: Argumente dagegen

1. Es existiert physisch.
Ganz einfach: Bargeld ist greifbar und damit verwundbar. Es kann verloren oder beschädigt werden, und in bestimmten Abständen ist ein Austausch (Ersetzen alter Münzen und Banknoten durch neue) fällig.

2. Geld zu produzieren, kostet Geld.
In einer bargeldlosen Gesellschaft würden Regierungen möglicherweise Millionen an Steuergeldern einsparen, da die Kosten für das Prägen von Münzen und das Drucken von Banknoten entfallen. (Umso mehr bleibt für öffentliche Aufgaben wie den Bau von Schulen und die Reparatur von Straßen übrig, richtig?)

3. Geld zu lagern, kostet Geld.
Wer hätte jemals gedacht, dass Geld für Banken unbequem sein könnte? Das Vorhalten von Bargeld in einer Bankfiliale kostet wertvolle Ressourcen, Geschäftsflächen und — ironischerweise — Geld. Tresorräume, Sicherheit, Verwaltung, Personal, Stromrechnungen… hier laufen Kosten auf. Und in den meisten Fällen werden diese Kosten auf die eine oder andere Weise an den Verbraucher weitergegeben.

4. Weniger Verbrechen.
Nicht nur die Gefahren von Überfällen nach Geldautomatenabhebungen und von Hauseinbrüchen (letztere führten keinen Geringeren als Björn Ulvaeus von ABBA dazu, Bargeldlos-Aktivist zu werden) würden entfallen; auch Banken und Finanzholdings wären ohne Bargeld sicherer.

Diebstahl und Raubüberfälle könnten in einer bargeldlosen Welt minimiert werden, da Diebe große Probleme damit hätten, gestohlene Wertsachen über nachvollziehbare Online-Transaktionen zu verkaufen. Außerdem würde das Fehlen von Banknoten die Praxis der Geldwäsche verhindern, die es Kriminellen ermöglicht, gestohlenes Geld unter die Leute zu bringen.

Bezahlen per Smartphone ist in Schweden weit verbreitet

Bargeld: Argumente dafür

1. Es existiert physisch
Stell dir ein Weltuntergangsszenario vor: Das Stromnetz ist ausgefallen; dein Smartphone bekommt kein Signal; und so hast du keinen Zugriff auf dein Geld, das in der Cloud herumschwebt. Deine alten Freunde — Münzen und Banknoten — scheinen plötzlich nicht mehr so eine schlechte Idee zu sein.

Auch unter etwas weniger dramatischen Umständen (z. B. wenn deine Bank vorübergehende technische Probleme hat), wäre es unvorteilhaft.

2. Teile der Gesellschaft wären überfordert
Wie die PRO richtigerweise fordert, würde eine völlige Digitalisierung wohl die ältere Generation großteils auf der Strecke lassen. Denn der Umgang mit einem Smartphone, Onlinebanking oder dem Internet allgemein wäre grundlegend. Auch Kinder, die noch über kein Konto verfügen, aber gerne mit ein paar Münzen Süßigkeiten beim Laden um die Ecke kaufen würden, wären ausgegrenzt.

Noch gravierender sind die Auswirkungen, die ein solcher Wandel auf Obdachlose und Bedürftige haben könnte. Die vielen kontaktlosen Zahlungsformulare, die für die Nutzung den Zugriff auf Smartphone-Apps erfordern, und die Notwendigkeit einer Wohnadresse, mit der ein Benutzer sein Konto registriert und die er für Lieferzwecke benötigt, können auf der Straße lebende Menschen in eine zunehmend verzweifelte Lage bringen.

3. Tourismus.
Nach einer gut gemeinten Bargeldabhebung am Geldautomaten sind viele Besucher in Schweden von der scheinbaren Wertlosigkeit des Geldes im Portemonnaie überrascht, wenn sie versuchen, es in Restaurants und Geschäften auszugeben. Da die üblichen Abhebungs- und Transaktionsgebühren eine häufige Kartennutzung im Urlaub unangenehm und teuer machen können, entscheiden sich Touristen traditionell für die Abhebung größerer Bargeldbeträge, um die Kosten für den Kauf der Fremdwährungen zu minimieren.

Die Folgeerscheinung in einem reinen Kartenland könnte vorerst ein Rückgang der durch den Tourismus erbrachten wirtschaftlichen Einnahmen sein. Denn nicht alle Länder der Erde entwickeln sich hinsichtlich bargeldloser Zahlungen gleich schnell und für jede Kartenzahlung im Ausland fallen bei vielen lokalen Banken weiterhin Gebühren an.

Kein Bargeld, keine Probleme?

Trotz des schnellen Aufstrebens der digitalen Zahlungsmöglichkeiten Schwedens sind die Bedenken von für Bargeld eintretenden Organisationen nicht nur auf Randgruppen beschränkt. Adrian Drott, ein 26-jähriger Videospiel-Designer aus Göteborg, ist ein Millennial, der in einem dualen Zahlungssystem durchaus Sinn erkennt. „Ich liebe die Bequemlichkeit, mit meiner Karte für alles bezahlen zu können“, sagt er, mit einer Zigarette in der Hand und einem Bier für 90 Kronen (9 Euro) vor sich, beides kurz zuvor per kontaktloser Debitkarte gekauft. „Aber die Idee einer völlig bargeldlosen Gesellschaft finde ich schon etwas beängstigend. Es macht Sinn, für den Notfall beides zu haben.“

Und er scheint nicht der Einzige zu sein, dem das Fehlen einer Alternative Sorgen macht. Im Juni dieses Jahres trat der Riksbank-Ausschuss der Regierung in die Debatte ein. Er arbeitete einen Bericht aus, in dem empfohlen wird, die größten Banken im ganzen Land zur Aufrechterhaltung physischer Bargeld-Bezahlvorgänge zu verpflichten, um dem besorgniserregend schnellen Rückgang der Verfügbarkeit von Bargeld entgegenzuwirken, der sich negativ auf ältere Menschen sowie Menschen in ländlichen Gebieten auswirken kann. Die Schwedische Bankiervereinigung konterte dies mit dem Argument, dass die Einführung von Gesetzen, die die von den Banken zu erbringenden Dienstleistungen vorschreiben, eine Verletzung von EU-Rechten darstellt, da nur einige Banken davon betroffen wären, während andere einen unfairen Vorteil hätten.

Damit dem Geld nicht das Geld ausgeht

Im Moment ist Schweden ein (fast) bargeldloses Land und einigermaßen glücklich darüber. Mobiles und digitales Bezahlen bietet den größten Komfort; die Dominanz dieser Zahlungsarten hat der Mehrheit der Schweden bisher nicht allzu viele Probleme bereitet. Aber selbst als eine zu 100% digitale Bank wissen wir bei N26, dass es im Leben manchmal Situationen gibt, in denen ein paar Münzen oder Scheine in der Hand sehr nützlich sein können. Deshalb können unsere Kunden in Deutschland und Österreich Cash26 für Abhebungen und Einzahlungen nutzen, indem sie einfach eines der vielen teilnehmenden Geschäfte besuchen.

Wie die Pro-Bargeld-Gruppen und die parlamentarische Intervention der Riksbank zeigen, könnten die Veränderungen in Schweden zu schnell und zu abrupt ablaufen. Ohne Lösungen für diejenigen, die durch das Raster fallen, scheint ein 100%iger Umschwung auf bargeldloses Zahlen zumindest solange unwahrscheinlich, bis sich alle Teile der Gesellschaft über die Vorteile der Bargeldlosigkeit einig sind. Aber in der Zwischenzeit wird es wohl nicht einfacher werden, öffentliche Toiletten ohne Debitkarte zu benutzen.

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