“Meet my Mama”: Wie eine Frau ihre Migrationserfahrung zu einem der gefragtesten Start-Ups in Frankreich machte

Emilie Rauschütz
N26 Magazine - Deutsche Ausgabe
8 min readOct 12, 2018

--

Wahrscheinlich hast du das ein oder andere Mal schon daran gedacht, dass du die Welt gerne ein kleines Stückchen besser machen würdest. Der Fortschritt in Technologie hat das auch weitaus einfacher gemacht, aber manchmal ist es trotzdem schwer den wirklichen Effekt zu messen. Donia Souad Amamra zeigt, wie einfach es funktioniert ohne viel Geld oder Ruhm einen großen Unterschied zu machen.

Donia Souad Amamra ist die Mitgründerin des französischschen Start-Ups “Meet my Mama”. Die Organisation hat bereits unglaubliche Auswirkungen auf das Leben von weiblichen Migranten und Flüchtlingen, indem die Frauen Zugang zu umfassenden Trainings und Unterstützung bei der Suche nach guten Jobs bekommen.

Auf der einen Seite gibt es “Meet my Mama” — eine kommerzielle Plattform, die kulinarische Reisen für Firmen anbietet. Auf der anderen Seite steht “Empower my Mama” — eine gemeinnützige Organisation, die Frauen ausbildet und ihnen eine erfolgreiche Karriere in der Gastronomie ermöglicht, sei es als Chef oder Restaurant Managerin.

Das Ziel ist es, die ‘Mamas’ mit Mitteln zur Berufstätigkeit und finanziellen Unabhängigkeit auszustatten, ob als Angestellte oder Unternehmer. Seit Donia ihr soziales Unternehmen 2015 gegründet hat, haben bereits 30 Frauen ihr Leben zum Positiven verändert. Aktuell werden mehr als 100 weitere potenzielle Mamas betreut.

“Wir wollen wirklich beweisen, dass eine ‘Mama‘ die Chance bekommen kann, eine Chefin der Zukunft zu werden. Sie kann ein Vorbild für unsere Gesellschaft sein — egal woher sie kommt.”

Ein benachteiligter Start wurde in eine echte Chance umgewandelt

Die kreative Inspiration für das Start-Up kam hauptsächlich von dem Film ‘Lunchbox’ — der Versuch einer Frau ihren Geliebten durch selbstgekochtes Essen zurückzugewinnen.

Aber die ultimative Inspiration für “Meet my Mama” ist tief in Donias Kindheit verankert. Als Tochter von algerischen Migranten, wurde sie in einem der vernachlässigten Pariser Vororte — les banlieues — geboren und wuchs dort auf. In einer Stadt in der Ausbildung und der Arbeitsmarkt oft von der Postleitzahl diktiert werden, hätte sie leicht Opfer des Systems werden können.

“Wenn du von einem Gymnasium in den Vororten kommst, hast du eine sehr geringe Chance an den großen Schulen in Paris aufgenommen zu werden, weil du nicht dieselben Fächer und dasselbe Training bekommst (wie andere). Es ist traurig, aber wahr. Das ist die Realität.”

Stattdessen machte Donia von einem regierungsgestützten Programm Gebrauch, das für benachteiligte Kinder erstellt wurde. Allein, dass solche Förderungen notwendig sind, ist eine deutliche Veranschaulichung des Problems in der französischen Gesellschaft.

Präsident Macron hat im Mai dieses Jahres die Probleme anerkannt indem er eine Reihe von Maßnahmen in Kraft gesetzt hat, um gleiche Möglichkeiten für Menschen aus den Banlieues zu erschaffen. Diese Initiativen beinhalten 30.000 neue Praktika und anonyme Tests bei den größten französischen Firmen, um Diskrimination gegen ethnische Minderheiten vorzubeugen.

Dank einer Schulpartnerschaft mit ESSEC in Paris, einer der renommiertesten Wirtschaftsschulen Frankreichs, konnte Donia zusätzliche Kurse besuchen. Drei Jahre lang hat Donia gemeinsam mit anderen “sozial benachteiligten” Schülern Unterricht in Orientierung, Allgemeinkultur und Englisch erhalten. Donias Schule unterstützte sie auch im Bewerbungsverfahren für die französische Elite-Uni Science Po, wo Donia schließlich ihr Studium absolvierte.

Dort konnte Donia grundlegende soziale und wirtschaftliche Kenntnisse erwerben. Aber ihre Zeit an der University of Missouri in den USA hatte den ausschlaggebenden Effekt um diese beiden Bereiche zu verbinden.

Als Teil ihrer Ausbildung dort, arbeitete sie ehrenamtlich bei einem Schutz für weibliche Missbrauchsopfer. Und dann begegnete Donia zufällig einer Frau, die sie so richtig inspirierte und dessen Treffen Donia bis heute prägt. Eine arme Frau, die selbst nicht viel hatte, aber sich damit befasste soziale Ungerechtigkeit zu bekämpfen. Diese Frau bereitete neben ihrem Job Mahlzeiten für Obdachlose zu, um das zu finanzieren hatte sie einen Stand am Flohmarkt an dem sie ihre Kleidung verkaufte.

“Ich war völlig begeistert, denn sie hatte nichts und wollte trotzdem helfen, einen Impact haben und teilen. Also dachte ich mir: ‘ja, sie hat recht!’”

2013 kehrte Donia aus Amerika zurück, mit vielen neuen Erfahrungen und einer neugefundenen Entschlossenheit im Gepäck. Während sie an ihrem Master in Public Affairs (Öffentlichkeitsarbeit) arbeitete, plante sie schon ihre nächsten Schritte.

“Ich wollte mehr über öffentliche Angelegenheiten wissen, aber nicht im öffentlichen Dienst arbeiten. Hand in Hand damit, aber nicht innerhalb des Systems. Ich wollte auch nicht in einer Organisation arbeiten. Ich wollte Geld verdienen und mein eigener Boss sein. In Frankreich ist es sehr unüblich diese Denkweise in der Sozialarbeit zu haben.”

Deshalb entschloss sie sich auch in Frankreich ehrenamtlich zu arbeiten. Für einen Radiosender berichtete sie über Migranten und deren Erfahrungen, während sie den Migranten gleichzeitig Französisch beibrachte. Außerdem reiste sie ehrenamtlich auch nach Algerien, dem Heimatland ihrer Eltern, und Ägypten.

Dort entdeckte sie noch eine Zutat von “Meet my Mama” — Essen als Mittel, um seine Kultur auszuleben. Gepaart mit der Gastfreundschaft aus dem Nahen Osten, hatte sie ihr Erfolgsrezept gefunden.

“Wenn du Gäste hast ist es wichtig, dass du dich um sie kümmerst. So sehr, dass es wichtiger ist, dass sie gut essen als du selbst.”

Mit ihrem abgeschlossenen Studium war Donia also nun bereit loszustarten. Das war kein Zufall, sondern das Ergebnis harter Arbeit und einer Leidenschaft für soziale Gerechtigkeit und Reisen.

Nach diesen Prinzipien gründete Donia gemeinsam mit einer Studienkollegin, Loubna Ksibi, den Vorgänger von “Meet my Mama”, nämlich “Mama’s Cooking”.

“Ich bin eine Frau mit einer Vision. Ich habe Ziele im Leben. Von Anfang an war es mein Ziel Menschen zu helfen.”

Wie die Frau aus Amerika, musste Donia allerdings erst einmal eine Art der Finanzierung für Mama’s Cooking und sich selbst aufstellen. Daher nahm sie Arbeit als Junior Consultant bei Tenzing, einer strategischen Beratungsfirma, an. Zwei Jobs zu jonglieren trieb Donia allerdings an die Erschöpfung.

“Ich war so müde. Zwischen meiner Arbeit als Beraterin und meiner Firma, konnte ich nicht viel schlafen. Ich habe jedes Wochenende gearbeitet.”

Knapp zwei Jahre hielt sich Donia so über Wasser, doch bereits nach dem ersten Jahr gab es eine große Veränderung. Zu dieser Zeit heuerte Mama’s Cooking weibliche Flüchtlinge an, um bei Events das Catering zu organisieren.

“Wir wollten wie Deliveroo werden, aber mit dem hausgemachten Essen der Mamas.”

Plötzlich wurde Donia per E-Mail von Youssef Oudahman kontaktiert. Er erklärte, wie er 2015 seinen Job gekündigt und ein Projekt gegründet hatte, das sich ‘Mama’s Kitchen’ nannte. Die beiden Projekte hatten viele Gemeinsamkeiten, daher trafen sich Donia und Loubna mit Youssef. Sie entschieden fortan gemeinsam zu arbeiten und benannten ihr neu zusammengestelltes Projekt.

“Wir hatten die gleichen Prinzipien, Gründsätze und die gleiche Mission. Und ich dachte mir: ja, lasst uns gemeinsam noch weiter gehen. Also gründeten wir Meet my Mama.”

Die drei brachten ihr soziales Unternehmen ohne zusätzliche Finanzierung durch das erste Jahr — mehr als 400 Events organisierten die drei ganz alleine, ohne Technologie. Einfach nur durch Networking.

“Wir wollten beweisen, dass das Konzept funktioniert. Dass wir Kunden haben und hoch hinaus wollen.”

Die erste Mama als ein Erfolgsrezept

Von der ersten Mama an wusste Donia, dass ihr Konzept Leben verändern konnte. Nitharshini war eine Frau aus Sri Lanka, die isoliert im Vorort wohnte. Ohne ein soziales Auffangnetz und ohne Jobaussichten, stellten Donia und ihre Crew Nitharshini an, um für eine Party mit 30 Leuten zu bewirten. Ihre Tochter war ebenfalls vor Ort als Nitharshini die Party wie eine Meisterköchin versorgte und dafür tosenden Applaus einfuhr. Nitharshini entschied sich wenig später auch mit ihrer Familie in Sri Lanka wieder in Kontakt zu treten — einen Schritt, den sie vorher aus Schamgefühl über ihre schlechten Lebensumstände nie gewagt hatte.

“Meet my Mama” veränderte auch das Leben einer 45-Jährigen Frau aus Algerien, die mit vier Kindern ihren gewalttätigen Mann verlassen, ihren Job verloren und große Schulden aufgebaut hatte.

Innerhalb eines Jahres bei “Meet my Mama” hatte sie ihre Schulden wieder abgebaut und ist jetzt eine erfolgreiche Unternehmerin mit ihrer eigenen Catering-Firma.

Erfolg, der inspiriert. Und Investoren anzieht.

Mit solchen Erfolgsgeschichten konnte “Meet my Mama” immer mehr Finanzierung aufbringen. So konnte Donia ihren Beratungsjob im Dezember 2017 aufgeben und “Meet my Mama” ihre volle Aufmerksamkeit bieten.

Außerdem wurden die Mamas offizielle Botschafter für eine neue Joghurtsorte, inspiriert durch die authentischen globalen Rezepte. Im Rahmen dessen stellte Danone für die Mamas in Paris ein Möglichkeit dar, sich der breiten Bevölkerung vorzustellen. Zwei Mal wöchentlich, immer durch eine andere Mama geleitet, organisierten die Mamas ein Brunch sowie Abendessen und präsentierten so verschiedenste Kulturen aus der ganzen Welt. Bei diesen Events sprachen die Mamas über ihre abenteuerlichen Lebensgeschichten. Das imponierte dem Vorsitzenden so sehr, dass diese Projekte zur Gänze an Donia und ihr Team übergeben wurden.

“Jetzt haben wir also unsere eigene Präsenz im Herzen von Paris. Es ist unser Ort, der Ort der Mamas.”

Donia und ihre Partner haben sich als moderne Pioniere der sozialen Veränderung präsentiert. Sie sind mittlerweile erfahrene Unternehmen und dank der Unterstützung großer Unternehmen wie Carrefour und Accenture, wächst das Portfolio von “Meet my Mama” stets.

In einem Land, in dem 90 % der Chefs Männer sind, sind Initiativen von “Meet my Mama” mehr als willkommen. Sie verändern auch die Gesprächskultur und erzeugen Respekt für ihre Arbeiter, damit die Organisation als Ganzes wichtige Themen anpacken können — zum Beispiel, dass die Mamas professionelle Anerkennung bekommen, damit ihre jahrelange Koch-Erfahrung genauso wie ihre anderen Fähigkeiten anerkannt werden.

Solche institutionelle Erfahrungen findet Donia mindestens genauso wichtig, wenn nicht noch wichtiger, als individuelle Verbesserung. Dadurch werden diskriminierende Gesetze kritisch hinterfragt und neue Möglichkeiten für Randgruppen erstellt. Gut möglich, dass du auch bald Mamas kennen lernen kannst.

“Im Moment sind wir nur in Paris, aber wir wollen auch in Paris, London, New York und anderen Orten eine Präsenz aufbauen. Denn überall gibt es Mamas und überall gibt es Kunden.”

Wenn Donia Souad Amamra also sagt, dass sie die Welt verändern will: Dann mach dich darauf gefasst.

Lade dir die N26 App im Apple App Store oder Google Play Store herunter.

--

--